Frei

 

Da sagte Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger.  Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien. Sie erwiderten ihm: Wir sind Nachkommen Abrahams und sind noch nie Sklaven gewesen. Wie kannst du sagen: Ihr werdet frei werden?  Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde.

 Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Haus; nur der Sohn bleibt für immer im Haus.  Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei.

 Ich weiß, dass ihr Nachkommen Abrahams seid. Aber ihr wollt mich töten, weil mein Wort in euch keine Aufnahme findet. Ich sage, was ich beim Vater gesehen habe, und ihr tut, was ihr von eurem Vater gehört habt.

 Sie antworteten ihm: Unser Vater ist Abraham. Jesus sagte zu ihnen: Wenn ihr Kinder Abrahams wärt, würdet ihr so handeln wie Abraham.  Jetzt aber wollt ihr mich töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit verkündet hat, die Wahrheit, die ich von Gott gehört habe. So hat Abraham nicht gehandelt.  Ihr vollbringt die Werke eures Vaters. Sie entgegneten ihm: Wir stammen nicht aus einem Ehebruch, sondern wir haben nur den einen Vater: Gott.  Jesus sagte zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören.

 

Johannes 8, 31-43

 

 

 

 

Sr. Gratia: Grüß dich, Johannes!

Johannes: Grüß dich!

Sr. Gratia: Irgendwie starten wir ja heute in das „zweite Hundert“ des „CI“, da habe ich ein spannendes Thema aus deinem Evangelium ausgesucht. Ist ja gar nicht so einfach, sich zu entscheiden, welche von den wunderbaren Stellen ich nehmen sol. Die Liturgie bietet uns in diesem Monat ja nicht speziell etwas von dir an. So habe ich mich für einen Satz entschieden, der mich immer schon sehr angesprochen hat.

Johannes: Ich bin gespannt!

Sr. Gratia: Das darfst du auchn sein! Mein Satz steht im 8. Kapitel deines Evangeliums. Das beginnt ja mit der herrlichen Erzählung über die Ehebrecherin und stellt dann mehrere Gespräche Jesu mit „den Juden“ zusammen. Und da mittendrin sagt Jesus das Wort: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“

Johannes: Du hast recht, ein wunderbares Wort Jesu! Aber jetzt bin ich trotzdem neugierig: Was genau fasziniert dich daran?

Sr. Gratia: Ich vermute, dass so ziemlich jeder Mensch die Sehnsucht in sich trägt, frei zu sein. Die Wege dazu, wie wir die Freiheit zu finden meinen, sind wohl so verschieden wie es die Menschen sind. Und Jesus, der ja selber der Weg ist, sagt es auf ganz einfache Weise: Die Wahrheit wird euch frei machen.

Johannes: Du hast recht: Das klingt sehr einfach. Aber ist es das auch: Einfach?

Sr. Gratia: Eine gute Frage! Denn das mit der Wahrheit ist ja auch so eine Sache: nicht immer mag ich sie so gerne hören.

Johannes: Lass uns ein wenig überlegen, was Jesus damit gemeint haben könnte.

Sr. Gratia: Da fällt mir zuerst ein, dass Jesus ja von sich sagt, dass er die Wahrheit ist.[1] Wahrheit hat also schon mal ganz viel mit Jesus selbst zu tun.

Johannes: Das ist so. „Deinem“ Satz geht noch ein wichtiges Wort Jesu voraus:

„Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“

Sr. Gratia: Damit zeigt uns Jesus auf, wie wir die Wahrheit, was immer sie sein mag, erkennen können: Indem wir in seinem Wort bleiben.

Johannes: Und was heißt das für dich?                                       

Sr. Gratia: Schon wieder eine gute Frage! Im Wort Jesu bleiben könnte bedeuten, aus dem Wort Jesu leben, es immer wieder betrachten und es zur Richtschnur für mein Leben werden lassen. Immer mehr aus diesem Wort leben, es in meinem Alltag Gestalt gewinnen lassen….

Johannes: Und wenn das geschieht, dann wird Jesus sich dir immer mehr zeigen – und dich auch die Wahrheit erkennen lassen.

Sr. Gratia: Wahrheit – das kann ja ein schillernder Begriff sein. Je nach philosophischem Denkmuster – oder auch je nach eigener Erfahrung. Man sagt doch, es hätte jeder seine eigene Wahrheit…

Johannes: …was wohl nicht ganz mit dem übereinstimmt, was Jesus meint.

Sr. Gratia: Tja, das ist doch die große Frage: Was meint denn Jesus?

Johannes: Du könntest Wahrheit in dem Sinn verstehen, was moralisch wahr ist: Das ist so, und daran musst du festhalten, daran musst du „glauben“.

Sr. Gratia: Aber das ist es wohl noch nicht so ganz?

Johannes: Nicht für Jesus. Bei ihm meint Wahrheit mehr: In der Wahrheit sein heißt, in Berührung mit der Wirklichkeit sein. Heißt: Aufwachen zur Wahrheit, zur Klarheit über mich selbst. Das Licht Gottes strahlt in mir und aus mir, wenn ich in der Wahrheit lebe.

Sr. Gratia: Okay, das war jetzt ein bisschen viel auf einmal. Lass mich dem nachgehen.

In Berührung mit der Wirklichkeit sein. Also in Berührung, mit dem, was ist, was einfach ist, so wie es ist. Und nicht so, wie ich es gerne hätte oder wie ich meine, dass es ist, oder wie ich mir vielleicht auch einrede, dass es unbedingt sein müsste…

Johannes: Das meinte ich damit, dass sich nicht jeder seine eigene Wahrheit zurechtzimmern muss. Oder kann. Es gibt eine

Wirklichkeit, an der ich als Mensch nicht vorbeikomme. Die objektive Wirklichkeit – aber auch meine persönliche Wirklichkeit, die ich einfach nur wahrnehmen und annehmen kann.

Sr. Gratia: Da sind wir bei der von dir angesprochenen „Klarheit über mich selbst“. Das ist ja auch so eine Sache: Will ich überhaupt ernsthaft Klarheit über mich selbst haben? Will ich wissen, wer ich wirklich bin? Kann ich da hinschauen – auf all das, was in mir ist, vielleicht auch in meinem Keller gut versteckt und weggeräumt, damit niemand drankommt?

Johannes:  Das ist die große und wichtige Frage! Und dahinein sagt Jesus uns zu: Die Wahrheit wird euch frei machen!

Sr. Gratia: Dann hieße hier „frei sein“ nicht unbedingt, niemand über sich zu haben, biblisch gesprochen: Nicht „Sklave“ zu sein; für uns heute vielleicht: unabhängig zu sein, tun und lassen zu können, was ich will – sondern bekäme eine ganz andere Bedeutung?

Johannes: Das will ich meinen! Wer nämlich Jeus erkennt, wer in ihm den Vater erkennt, von dem er so oft spricht, den wahren Gott, der muss sich nicht mehr mit dem „Schein“ zufrieden geben, den wir in unserer Welt so oft erfahren.

Sr. Gratia: Zu diesem Schein gehören ja auch die Illusionen, die wir uns oft machen – gerade auch über uns selber.

Johannes:  Was auch ganz schön herausfordernd sein kann. Aber wenn Jesus dich wirklich befreit, dann kannst du auch alles Kreisen um deine Vergangenheit hinter dir lassen, dann musst du nicht mehr kämpfen mit alten Verhaltensmustern – wenn Jesus dein Denken erneuert und deine Lebenslügen durch die Wahrheit, durch seine Wahrheit über dich, ersetzt, dann wirst du in Wahrheit frei.[2]

Sr. Gratia:  Ist das nicht zutiefst Gottes Sehnsucht: uns als freie Menschen sich gegenüber zu haben? Will er nicht mehr als alles andere unsere ganz freie Entscheidung für ihn?

Johannes: So ist es.

Sr. Gratia: So gesehen haben die Juden in unserem Evangelienabschnitt Jesus gründ- lich missverstanden. Sie sind auf die politische Freiheit ange- sprungen – und Jesus meinte die innere, tiefste Freiheit in Gott und vor Gott.

Johannes: Und genau darum geht es: Diese Freiheit zu ersehnen, sich danach auszustrecken- und dadurch den Mut zu gewinnen, sich der (eigenen) Wahrheit zu stellen.

Sr. Gratia: Damit diese Wahrheit uns befreien kann. Ich freue mich schon auf die neue Freiheit, Johannes!

Johannes: Und ich wünsche dir und euch allen in diesen Ferienwochen viele Momente, die euch einen Vorgeschmack auf diese Freiheit schenken!

Sr. Gratia: Danke!

 

1] Joh 14,6

[2] Ein konkreter Weg dazu: http://theophosticde.blogspot.co.at/

 

 

 

„ChristImpulse“

 

für das Frei-sein

 

im Alltag

 

          

-Herzensgebet:   

 Deine Wahrheit macht mich frei!      

 

-zwischendurch immer wieder einmal:

Gehe ich gerade mit einem Wort Jesu, das mich stärkt, erhellt, bewegt?      

 

 -Tagesrückblick:  

Wo/Wie bin ich heute meiner Wahrheit, meiner Lebensgeschichte, vielleicht meinen  „Lebenslügen“ begegnet? Wie konnte ich damit umgehen?

 

 

 

 

                                                                                  Immerfort

empfange ich mich aus Deiner Hand.

Das ist meine Wahrheit

und meine Freude.

 

Immerfort

blickt mich Dein Auge an,

und ich lebe aus deinem Blick.

Du mein Schöpfer und mein Heil

 

Lehre mich

in der Stille Deiner Gegenwart

das Geheimnis zu verstehen,

das(s) ich bin.

 

Durch dich

und vor Dir

und für Dich.

 

Romano Guardini